Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm) hält die Abhaltung von Betriebsversammlungen in Präsenzveranstaltungen trotz der Pandemie weiterhin für möglich, sofern die geltenden Infektionsschutzvorgaben hinreichend sichergestellt werden.
Das LAG Hamm hatte im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzes folgenden Fall zu entscheiden:
Der antragstellende Betriebsrat wollte eine Veranstaltungshalle anmieten, um dort für eine Belegschaftszahl von ca. 360 Arbeitnehmern die Betriebsversammlung in drei Teilversammlungen als Präsenzveranstaltungen durchzuführen. Hierfür verlangte er vom Arbeitgeber die Zahlung eines Kostenvorschusses für die Anmietung der Veranstaltungshalle. Der Arbeitgeber lehnte dies mit dem Hinweis ab, dass eine solche Betriebsversammlung in Präsenz das Infektionsrisiko erhöhen würde. Er vertrat die Auffassung, dass der Betriebsrat verpflichtet sei, die Betriebsversammlung stattdessen per Videokonferenz gemäß dem in der Corona-Pandemie neu eingeführten § 129 Abs. 3 BetrVG abzuhalten und wies den Betriebsrat darauf hin, dieser könne auf die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Systeme Microsoft Teams und Zoom zurückgreifen.
Das Arbeitsgericht Iserlohn hatte mit Entscheidung vom 08.09.2020 (Az. 2 BVGa 5/20) den Antrag des Betriebsrats auf Zahlung eines Kostenvorschusses für die Anmietung der Veranstaltungshalle erstinstanzlich abgelehnt.
Das LAG Hamm hingegen gab dem Betriebsrat recht. Durch das Wort „können“ in § 129 Abs. 3 BetrVG habe der Gesetzgeber dem Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum eingeräumt. Der Betriebsrat könne selber entscheiden, ob er die Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung oder als Videokonferenz abhalte, sofern die für solche Veranstaltungen geltenden Infektionsschutzvorgaben hinreichend sichergestellt seien. Denn schließlich sei die Durchführung als Präsenzveranstaltung der Regelfall. Sobald der Befristungszeitraum des in der Corona-Pandemie neu eingeführten § 129 Abs. 3 BetrVG abgelaufen sei, müssten Betriebsversammlungen ohnehin wieder alternativlos als Präsenzveranstaltungen erfolgen.
Das LAG Hamm war zudem der Ansicht, dass der bloße Hinweis des Arbeitgebers, stattdessen Online-Tools wie Microsoft Teams und Zoom zu verwenden, nicht ausreichend gewesen sei. Vielmehr wäre der Arbeitgeber im Rahmen des Gebots zur vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) und seiner analog § 40 Abs. 2 BetrVG resultierenden Pflicht, dem Betriebsrat bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben die dafür erforderlichen Sachmittel sowie Informations- und Kommunikationstechnik einsatzbereit zur Verfügung zu stellen, verpflichtet gewesen, dem Betriebsrat genau aufzuzeigen, wie die Betriebsversammlung in Form einer Videokonferenz hätte ablaufen können.
Bedeutung für die Praxis:
Es kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden, ob sich auch weitere Gerichte dieser Rechtsauffassung anschließen werden. Der Wortlaut des § 129 Abs. 3 BetrVG spricht dafür. Jedenfalls muss die Einhaltung der sich ständig ändernden Infektionsschutzvorschriften in der derzeitigen Pandemielage tagesaktuell bei einer anstehenden Betriebsversammlung geprüft werden.
LAG Hamm, Beschluss vom 05.10.2020, Az. 13 TaBVGa 16/20
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