Eine Betriebsvereinbarung kann auch dann wirksam zustande kommen, wenn der Betriebsratsvorsitzende die Vereinbarung abschließt, ohne über einen wirksamen Betriebsratsbeschluss zu verfügen. Zu
diesem Ergebnis kam das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 15.04.2021 (Az.: 11 Sa 490/20).
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
In einem Unternehmen der Stahlindustrie wurde das Entgeltsystem umgestellt. Hierzu wurden unter Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung auch die Zulagen angepasst. Gegen den Wegfall der
Zulagen legte ein betroffener Arbeitnehmer Klage mit der Begründung ein, dass die neue Betriebsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen sei. Für seine Eingruppierung fände weiterhin die alte
Betriebsvereinbarung Anwendung. Nachweislich hatte der Betriebsratsvorsitzende die neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen, ohne dass dem ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsratsgremiums
zugrunde lag. Das Gremium wusste jedoch vom Abschluss der Betriebsvereinbarung.
Die Entscheidung des Gerichts:
Das Gericht widersprach der Auffassung des Arbeitnehmers. Die Betriebsvereinbarung sei wirksam zustande gekommen. Denn es seien die Grundsätze der sog. Rechtsscheinhaftung anzuwenden. Der
Betriebsrat müsse sich den Abschluss der Betriebsvereinbarung durch den Betriebsratsvorsitzenden im Wege einer Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Die Betriebsratsmitglieder wussten von dem
Abschluss der Vereinbarung und seien nicht eingeschritten. Der Arbeitgeber habe mangels entgegenstehender Kenntnis auf den Anschein der Bevollmächtigung des Betriebsratsvorsitzenden vertrauen
dürfen und mithin mit diesem wirksam eine Betriebsvereinbarung abschließen können. Nach der Auffassung des Gerichts soll eine Bindung an die vom Vorsitzenden abgeschlossene Betriebsvereinbarung
dann eintreten, wenn der Mehrheit des Betriebsrats das Vorgehen des Vorsitzenden bekannt gewesen sei oder hätte bekannt sein müssen und der Arbeitgeber mangels entgegenstehender Kenntnis auf den
gesetzten Rechtsschein habe vertrauen dürfen.
Bedeutung für die Praxis:
Das Gericht überrascht mit seiner Entscheidung. So vertrat das LAG Düsseldorf noch mit einer Entscheidung vom 27.04.2018 (Az.: 10 TaBV 64/17) die entgegengesetzte Ansicht, dass eine
Rechtsscheinhaftung nicht die rechtliche Konsequenz des wirksamen Zustandekommens einer Betriebsvereinbarung haben könne. Anders als im typischen Fall der Rechtsscheinhaftung träfen die
rechtlichen Wirkungen nicht den Vertretenen (Betriebsrat), sondern hier Dritte (Arbeitnehmer). Mit seiner Entscheidung weicht das Gericht nun ausdrücklich von dieser Ansicht ab. Dies kommt
Arbeitgebern entgegen, da anders kaum Rechtssicherheit geschaffen werden kann. Weiterhin reiht das Gericht sich mit seiner Entscheidung in den schon lange in der Literatur und Rechtsprechung
bestehenden Konflikt über das Zurechnen solchen – eigenmächtigen – Handelns des Betriebsratsvorsitzenden ein. Mit bereits eingelegter Revision hat das Bundesarbeitsgericht aber nun die
Möglichkeit, diese Frage höchstrichterlich zu klären.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2021 (Az.: 11 Sa 490/20)
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